Das Higgs-Teilchen ist vermutlich entdeckt. Forscher am Cern in Genf haben ein Teilchen beobachtet, dessen Eigenschaften mit denen des Higgs übereinstimmen. Noch ist nicht ganz klar, ob es sich wirklich um jenes Teilchen handelt, das im Standardmodell der Physik vorhergesagt wird, oder um eine exotischere Variante. Doch die Champagnerkorken knallen jetzt schon.
H.W. Es ist ein ganz besonderer Tag für die Forscher am Teilchenphysik-Laboratorium Cern in Genf. Ein Tag, auf den sie lange hingefiebert hatten, ein Tag, der in die Geschichtsbücher der Physik eingehen wird. Die beiden grossen Kollaborationen am Cern – jene des Atlas-Experiments, und jene des CMS-Experiments – haben bekanntgegeben, ein Teilchen beobachtet zu haben, bei dem es sich wahrscheinlich um das lange gesuchte Higgs-Teilchen handelt.
Dieses Teilchen – es gehört zur Kategorie der Bosonen – ist der letzte Baustein, der noch fehlt, um das Standardmodell der Teilchenphysik zu vervollständigen. Mit dem Standardmodell erklären sich die Physiker, wie die Grundbausteine der Materie zusammenwirken.
Frühere Resultate bestätigt
Mit neuen Daten konnten die Forscher
Resultate vom vergangenen Jahr bestätigen. Damals fanden sie Hinweise auf ein neues Teilchen. Nun haben die gesammelten Daten eine höhere Aussagekraft, eine höhere Signifikanz. Das Cern spricht in seiner
offiziellen Stellungnahme dennoch nicht von einer «Entdeckung». Die ersten Publikationen der Resultate in Fachzeitschriften sind Ende Juli zu erwarten.
Das neue Teilchen hat eine Energie von rund 125 bis 126 Gigaelektronenvolt. Damit liegt es in einem Energiebereich, der mit dem Higgs-Teilchens des Standardmodells kompatibel ist. Trotzdem können die Cern-Forscher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob es sich um das Higgs-Teilchen des Standardmodells handelt, oder um ein anderes, exotischeres Teilchen. Dafür sind weitere Untersuchungen nötig.
Vieles spricht aber dafür, dass es tatsächlich das Higgs-Teilchen ist. «Wir wissen, dass es ein Boson ist, und dass es das bisher schwerste beobachtete Boson ist», sagte der Sprecher des CMS-Experiments, Joe Incandela. Er sprach in Genf an einem Seminar, wo Atlas und CMS ihre neusten vorläufigen Daten vorstellten. Das Seminar konnte
live übers Internet verfolgt werden.
Ein Meilenstein
«Wir haben einen Meilenstein erreicht in unserem Verständnis der Natur», kommentierte der Cern-Direktor Rolf-Dieter Heuer die neuen Resultate. «Als Laie würde ich nun sagen: Ich glaube, wir haben es. Stimmen Sie zu?» Das Publikum in Genf brach in Jubel aus.
Im Saal sass auch der Physiker Peter Higgs, nach dem das Higgs-Teilchen benannt ist. Er war einer jener Forscher, die den theoretischen Formalismus zum Higgs-Teilchen in den 1960ern entwickelten.
Die Suche nach dem Higgs dauert schon lange. Mehrmals war bereits von einer Entdeckung die Rede, doch denn lösten sich die Hinweise wieder in Luft auf. Nun sind die Daten so solide, dass dies unmöglich scheint. Entsprechend erleichtert reagieren Physiker rund um die Welt.
Zahlreiche Koryphäen gratulierten dem Cern-Team für seinen Erfolg. Beteiligt an der Entdeckung sind Tausende von Forschern, die über mehrere Jahrzehnte an Theorie und Experimenten arbeiteten. Nicht zuletzt brauchte es für die Entdeckung auch den neuen Beschleuniger am Cern, den Large Hadron Collider (LHC). Nur diese milliardenteure Riesenmaschine erreicht die nötigen Energien, um ein Higgs-Teilchen zu erzeugen.