Da gibts aber noch eine andere Ebene, nämlich das Erforschen der Wissensstände. Was hat man um 1800 von der Welt gewußt, was 1850? Und genau in diesem Kontext sind "veraltete" Bücher spannend. Wie wurde Kindern vor 20 Jahren das vermeintlich aktuellste Wissen vermittelt, was hat sich seitdem verändert?
und schon sind wir im Feld der Wissenschaftsgeschichte angekommen
Ja, natürlich. Aber dann verändert das Buch seine Rolle und ist nicht mehr reiner Informationsträger, sondern wird selbst zum untersuchten Artefakt.
Eine Privatperson die aus diesem Grund Bücher besitzt, gehört höchstwahrscheinlich in die Kategorie "Sammler".
es wurden ja auch schon die was-ist-was-Bücher genannt. Ob man hier dann den Begriff Wissenschaftsgeschichte anwenden mag? ist wohl etwas übers Ziel hinaus.
wir haben davon auch noch einiges im Keller stehen, was unser Enkel mal irgendwann in 10 Jahren bekommen soll
der wird sich wundern
Wenn es sich dabei um "Fachbücher"* handelt, und er gewisse Vorkenntnisse hat, dann vermutlich schon. Ich bekam mit 8 oder 9 Jahren ein paar Schulbücher aus der Zeit meiner Eltern in die Finger, die natürlich zu diesem Zeitpunkt ihrerseits über 20 Jahre veraltet waren. Teils erkannte ich das, weil ich bereits den aktuellen Kenntnistand kannte. Aber oft genug erkannte ich es eben nicht. Und mir fehlte noch das Reflektionsvermögen um zu erkennen, dass ich die Inhalte in Bezug auf ihre Richtigkeit generell mit Vorsicht genießen sollte.
Diese Erfahrung war mit ein Grund, warum ich mich dagegen entschieden hatte, dem Nachbarsjungen meine alten Bücher zu vermachen.
Heute haben viel mehr Menschen einen höheren Bildungsabschluss und die Welt ist dementsprechen eine Mischung aus sehr vielfältig und auch wieder sehr uniform (Billy-Regal, Mac, Ipad). Gibt es aber noch den Kanon an Autoren oder Geschichtswerken, die man gelesen haben muss? Oder Musikwerke, die man spielen können muss, um als gebildet durchzugehen?
Ich denke die Sache ist noch viel mehr "meta".
Wie bereits angeklungen waren Bücher früher auch Statussymbole (und sind z.T. heute noch). Und es gab und gibt Menschen, die sie nur wegen dieses Status' besaßen/besitzen. Ein Teil dieser Menschen hat einfach das Statussymbol ausgetauscht und zeigt eben heute das Billy-Regal oder das Ipad, statt des Buchs.
Das ist dann die Kategorie Selbstdarstellung.
Zur Frage der Aktualität von Fachliteratur: hängt natürlich sehr vom Thema ab. Höhere Mathematik und wichtige Grundlagen werden sich auch in MINT-Fächern nicht über Nacht extrem verändern. Gerade in der Physik z.B. hat man es ja viel mit Aproximationen zu tun und alte Modelle können immer noch in bestimmten Bereichen ausrechend genau sein.
Für die allgemeinen Grundlagen gilt das sicherlich. Aber je mehr du ins Spezielle gehst, umso weniger gilt es.
Ich habe in der Schule (nach der Wende) einen Atlas aus den Achtzigern benutzt und der einzige Unterschied zu den Atlanten der anderen war eben die innerdeutsche Grenze und was damit zusammenhing.
Nun ja, Altlanten sind auch eher "grobschlächtige" Literatur. Mal abgesehen von politischen Verhältnissen bilden sie ja nichts ab, das einem schnellen Wandel unterliegt.
Aber in die von dir genannte Zeit fällt z.B. die Verknüpfung des Chicxulub-Kraters mit dem K-P-Ereignis in der Fachwelt. Würde man in Schulatlanten nicht Ländergrenzen sondern geologisch signifikante Ereignisse eintragen, dann hättest du durchaus einen Unterschied bemerkt.
Es kommt halt immer darauf an, worum es sich dreht. Fachbücher über die KE-Jetronic (als Beispiel) verlieren auch nicht an Aktualität, weil diese seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt wird. Wenn ich ein 30 Jahre altes Auto fahre wird aus der KE aber nicht plötzlich von heute auf morgen eine Monotronic oder eine DIrekteinspritzung.
Da kommt es halt auf den Kontext an. Wenn das Buch mit "Moderne KFZ-Technik" betitelt wäre, dann könnte heute man durchaus den Inhalt kritisieren.
Genau das meinte ich: Das Buch wäre immer noch ein wertvolles Zeitdokument, aber würde nicht mehr seinem ursprünglichen Anspruch gerecht, nämlich den Leser über moderne KFZ-Technik zu informieren.
*) wozu ich hier großzügig auch Was ist Was zählen möchte - daher die Anführugszeichen