Na, dann haben sich die Verständnisprobleme ja schon erledigt. Was "friß oder stirb" angeht, stimme ich Dir auch in den sogenannten entwickelten Ländern völlig zu, habe allerdings - was den Einsatz von M$-Produkten allgemein angeht - eine völlig andere Perspektive. Meine Frau ist Brasilianerin, und so wie es aussieht, gehen wir in zwei, maximal drei Jahren ganz nach Brasilien. Und dort sieht die Situation ganz anders aus. Dort fliegt M$, wo sie es geschafft haben, hereinzukommen, massenhaft achtkantig heraus. Zudem ist es der Regierung gelungen, auf ein Problem aufmerksam zu machen, das nach meiner Auffassung sehr wichtig ist: In den Schwellenländern wurden über viele Jahre hinweg im öffentlichen Sektor sauer verdiente Steuergelder dafür aufgewendet, die M$-Produkte zu kaufen, gezwungenermaßen. Hier wird also eine Form von "Neo-Kolonialisierung" durchgezogen, zu Lasten dieser Länder und zum Nutzen einer Geldclique, wie es - so finde auch ich - unverantwortbar ist. Denn durch diese Käufe wurde zudem über Jahre hinweg der Aufbau einer eigenen Softwareindustrie behindert. Außerdem hat insbesondere die Regierung Brasiliens auf einen weiteren Sachverhalt aufmerksam gemacht, den auch Mark Shuttleworth angesprochen hat: Durch die hohen Lizenzgebühren für ihre Produkte und die exorbitanten Kosten für ihre "Leistungen" hat es M$ mit zu verantworten, daß speziell in ärmeren Ländern ganze Bevölkerungsschichten vom Bildungswesen, der Wissensgesellschaft, abgekoppelt werden. Ähnlich wie in Südafrika, wo ich mal einige Monate gelebt habe (in Capetown, der Geburtsstadt von Mark Shuttleworth), hat man jedoch inzwischen erkannt, daß dieser Geldtransfer nicht der Weisheit letzter Schluß ist und die Entwicklung dieser Länder behindert. Die Reaktion kam prompt: Bush hat bekanntlich Brasilien mit auf die "Liste der Bösen" gesetzt, weil es angeblich "geistiges Eigentum" nicht anerkennt. Er hat sich wohl geärgert wie Billy Boy auch, daß in Brasilien der Conectado-Auftrag mit einer Million PC's nicht an M$ gegangen ist, sondern Linux das Rennen gemacht hat. Daß es hier um eine klare Definition des Begriffes "Demokratie" geht und nicht um "geistiges Eigentum", hat Bush wohlweislich verschwiegen.
Irgendwo ist es halt doch eine Mission, das hat ja auch Shuttleworth offen zugegeben, und ich finde, das ist gar nicht schlimm. Das versuche ich bei meinen Kunden auch auf die Tagesordnung zu bringen, wenn es um Neubeschaffungen geht, bei meiner Klientel (Kleinunternehmen, kleine Abteilungen) klappt es auch oft. OpenOffice liest den proprietären Plunder meistens problemlos ein (VBA und Makros verwenden meine Kunden eh' fast nicht), fürs Online-Banking habe ich genug unter Linux, und LexWare oder KHK läuft auch, wenn man wirklich nicht darauf verzichten will, unter Wine. In großen Unternehmen sieht es natürlich schon wieder ganz anders aus, da geht so etwas nur im Rahmen großer Projekte, und die Evaluierungsphase muß sehr sorgfältig ausgeführt werden.
"Linux World Domination": Na ja, Mark Shuttleworth möchte Ubuntu 6.06 als Konkurrenz gegen Vista verstanden wissen. In Europa und den USA, da sind wir wohl doch einige Meter davon entfernt. In Südamerika wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis M$ dort nur noch Nummer 2 ist.
Gruß Enrico