Review: IBM Modell P70 – meine „Nähmaschine“

Mornsgrans

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Da steht sie nun, platzverschwendend, mein elektronischer YTONG-Stein. Die Abmessungen sprechen dafür: 46,3x 30,5x12,8cm (B x H x T). Bei aufgeklappter Tastatur vergrößert sich die Grundfläche von 12,8cm auf 36,5 cm, solange die Tastatur nicht abgenommen wird.

Bei einem Gewicht von 9,5 kg weiß man, was man mit sich herum schleppt.


Doch zuerst ein paar Eckdaten:
CPU
• Intel 386DX 20 MHz

FPU
• Intel 387

RAM
• 8 MB

Bus
• 2 MCA Steckplätze, ein 32 Bit (lang) und ein 16 Bit (kurz)

Display
• Plasmadisplay 640 x 480 16 Graustufen
o (durch dessen hohen Stromverbrauch ist ein Akkubetrieb unmöglich)

Laufwerke
• Floppy 3,5", intern und extern (optional)
• ESDI HDD (DBA interface) 120MB

Schnittstellen
• Maus, Keyboard
• 1 x Seriell
• 1 x Parallel
• VGA
• externer Floppylaufwerksanschluss

Abmessungen
• 46,3 x 30,5 x 12,8cm-36,5 (B x H x T) 36,5cm bei aufgeklappter Tastatur
• 9,5 kg

Betriebssysteme ab Werk
• OS/2 Warp Version 3
• Caldera OpenDOS 7.01
• Linux 2.0 (Slackware-based)




Die ersten Handgriffe sind nur zaghaft –man will ja nichts kaputt machen. – Puh, was soll man an dem Baustoff kaputt machen?

Fangen wir an:
Nachdem wir das Schwergewicht auf die Tischplatte gewuchtet hatten, suchen wir erst einmal den Anschluss für das Netzkabel. – Ah, hinten rechts ist eine kleine Blende, die man nach oben schieben kann!
Blende hochgeschoben und wirklich, dort findet man eine Kaltgerätebuchse. Die robuste Bauweise des Gehäuses ermöglicht sogar, die Blende so anzubringen, dass sie nicht von selbst nach unten rutscht. Also erst einmal das Netzkabel angeschlossen.
P70-6.jpg


Weiter geht die Suche – Anschluss für die Maus:
Ebenfalls an der Rückseite, diesmal aber links finden wir eine große Klappe, die sich aufschwenken lässt und darin eine weitere nach oben verschiebbare Blende. Hinter dieser finden wir die übrigen Anschlüsse:
* PS/2
* 1 x Seriell (25 pol)
* 1 x Parallel
* VGA
* externer Floppyanschluss

P70-8.jpgP70-7.jpg

Nach Anschließen der Maus geht die Suche weiter – diesmal an der Vorderseite:
Links und rechts oben findet man an der Abdeckung der Vorderseite zwei geriffelte Schieber. Schiebt man diese aufeinander zu, löst sich die Abdeckung und diese „verwandelt“ sich nach dem Herunterklappen in eine abnehmbare Tastatur, die mit einem Spiralkabel angeschlossen ist. Man erhält zudem freie Sicht auf Display, Diskettenlaufwerk und den Powerschalter, ein massiver Wippschalter.
P70-1.jpg

Seitlich am Display befinden sich Aussparungen. Greift man in diese hinein und zieht das Display nach vorne, stellt es sich in einen Winkel von ca. 10°, dass man einen guten Betrachtungswinkel auf dem Bildschirm hat. Ein Helligkeitsregler ist ebenfalls vorhanden.

Drückt man gegen den oberen Bereich des Diskettenlaufwerks, schenkt dieses ebenfalls nach außen, damit man von oben eine Diskette einschieben kann.
Ein erheblicher Nachteil dieser Lösung ist die Tatsache, dass im Laufe der Jahre sehr viel Staub von oben in das Laufwerk gerät.
P70-4.jpgP70-3.jpg

In diesem Thread kann man nachlesen, dass das Diskettenlaufwerk in der Tat eine Schwachstelle ist. Da IBM immer wieder sein eigenes „Süppchen“ kocht, passt natürlich nicht ein normales Floppylaufwerk, sondern man benötigt eines mit 34 statt 40 Anschlusspins (incl. Stromversorgung), das nur bei drei Rechnermodellen Verwendung fand. Die Suche nach einem Ersatzlaufwerk wird schnell zu einem Geduldspiel, einmal, weil diese Teile meist nur in Übersee zu erhalten, und einmal, weil sie sehr rar geworden sind.

Nach dem Einschalten melden sich der Netzteillüfter und die HDD lautstark „zu Wort“. Piep – Piep – Mist, Error 161 und 163. Nach Tastendruck startet das ROM-BASICA
Schnell eine Referenz-Diskette heruntergeladen, auf Floppy geschrieben und diese eingelegt – Reboot – Zugriff auf Diskette nach Bestätigen der Error-Codes beginnt – und läuft und läuft und läuft und…

Mist, das Laufwerk will wohl nicht! Also Rechner ausgeschaltet, Disktettenlaufwerk ausgebaut und zerlegt. Nach dem Entstauben will es immer noch nicht.

martind, dem ich mein Schicksal beim letzten Mainzer Stammtisch geschilderte hatte, fand innerhalb weniger Minuten tatsächlich ein ein Jahr altes noch laufendes Angebot bei ebay. – Ich habe einfach mal auf „Sofort kaufen“ geklickt und dabei noch Glück: Andere Angebote des Anbieters waren teilweise erst ein paar Tage alt.

Mein Diskettenlaufwerk brauchte 4 Wochen von Seaside, Oregon (USA) bis zu mir.

Nach dem Reinigen und Einbau bootete es tatsächlich von der Referenz-Diskette. Zum Glück hatte ich ein paar Tage zuvor auch die BIOS-Batterie erneuert.

Nach Setzen der Konfiguration bootete ich erneut, diesmal erkannte der Rechner auch die Festplatte und bootet ein MS-DOS 6.22 – fein!!!

Ab in den Keller und meine Windows 3.1 Disketten aus dem Jahre 1992 gesucht. Man glaubt es nicht, alle Disketten funktionierten noch. Die Windows-Installation dauerte mit der trägen ESDI HDD und dem lahmen Floppy-Laufwerk eine gute dreiviertel Stunde – von 5 Disketten!!!

Danach lief der Rechner einwandfrei.


Äußeres:
Das Gehäuse des IBM PS/2 Modell P70 lässt an und für sich keine Wünsche in Punkto Verarbeitung offen. Alle Teile sind robust, ertragen auch mal härteres Anpacken und sehen nach nunmehr 24 Jahren tadellos aus. Selbst alle Gummifüße sind noch vorhanden!!

Die Gehäuserückwand ist lediglich mit drei Schrauben und einem Schnappverschluss befestigt. Zum Öffnen reicht ein kleines Geldstück – „Think!“ eben.


Tastatur:
IBMs Paradestück ist und bleibt nunmal die Tastatur. Ausnahmsweise mal nicht „schwer“ gebaut, macht sie dennoch einen robusten Eindruck. Klappt man die Halterungen zum Befestigung der Tastatur am Rechnergehäuse nach unten, hat man eine ideale Schreibposition der leicht geneigten Tastatur. Der Druckpunkt arbeitet gewohnt präzise, ein vernehmliches „klick“ beweist dem Anwender, dass auch wirklich eine Taste gedrückt worden war.
P70-2.jpg

Die Tastenkappen sind allesamt noch matt und weisen nicht den geringsten Glanz auf. – Viel- und Schnellschreiber haben ihre helle Freude damit.

Lästig ist das Tastaturkabel beim Zusammenbau zum Transport. Hier klemmt sich das Spiralkabel gerne unter dem Display fest und muss etwas unter dem Display hervorgezogen werden, bevor man dieses wieder in das Gehäuse zurückdrückt.
P70-10.jpgP70-9.jpg

Display:
Das Display ist der Hit:
Gestochen scharfes Bild, aber schwarze Schrift auf rotem(!!!!) Hintergrund. Wer da nach längerem Arbeiten nicht „rot“ sieht, ist entweder blind oder ein einsames Talent. Der Kontrast der 16 „Graustufen“ ist gut, die Leuchtkraft der CCFL reicht aus, um mit 50% Helligkeitsstärke arbeiten zu können.
Die Farbverläufe werden unter Windows 3.1 in mehr oder weniger dicht gesetzten Kreuzchenmustern dargestellt. Arbeitet man mit Textverarbeitungen, stellt es kein Problem dar. Bei Grafikanwendungen ist ein externer Monitor zwingend erforderlich.


Lärm:
Die laute Festplatte kann einen, der leise Arbeitsumgebungen gewohnt ist, den letzten Nerv rauben. Selbst der Lüfter des Netzteils ist noch gut zu hören.


Connectivity:
Bis auf die oben genannten externen Anschlüsse, gab es noch MCA- Erweiterungskarten, die Verbindung nach Außen schaffen konnten. Es gab beispielsweise eine Ethernetkarte als optionales Zubehör und einen SCSI-Controller für externe Festplatten.
Ansonsten boten sich lediglich die serielle und parallele Schnittstellen zum Datentransfer z.B. mit Laplink oder einem Parallelport Ethernetadapter von Xircom an. Ein externer Modem wäre die andere Alternative.


Leistung:
Nach dem Einschalten braucht der Rechner gute zwei Minuten, bis Windows hochgefahren ist. Für Windows 3.x ist der Rechner allemal gut geeignet, ohne CPU und HDD zu stark zu beanspruchen. – Zur Not wäre vielleicht gerade noch ein Windows 95-Betrieb möglich gewesen, wenn man von der eingeschränkten „Farbdarstellung mal absieht, aber halbwegs vernünftig lief Windows 95 bekanntlich erst ab einen 80486 DX ab 33 MHz.
Mit bis zu 120 MB war die HDD groß genug für die damaligen Anwendungen und zur Not konnten weitere (SCSI-) Festplatten extern angeschlossen werden.

Das Diskettenlaufwerk ist eines der lahmsten, die ich bisher erlebt hatte. Die Installation von Corel Draw 3.0 von 11 HD-Disketten dauerte exakt eine Stunde (installiert: 35 MB).


Fazit:
Sitzt man an diesem Rechner, kann man verstehen, warum das P70 mehrfach ausgezeichnet worden war. Man versteht aber auch, wie sehr man sich mit Ballast durch die Botanik bewegt, ein Kofferkuli wäre die einzig richtige „Verpackung“ gewesen. So bleibt man letztendlich gespalten, was die Ergonomie beim Arbeiten am Rechner und die beim Transport betrifft.
Einige „Kleinigkeiten“ stören beim Handling und trüben das Gesamtbild

P70-5.jpg



Edit:
Jetzt auch im Wiki
 
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Moin!

:thumbsup:

Und: ich werde mein T30 nie wieder als "schweren Trümmer" bezeichnen... ;)


Danke & Gruß,

Kai
 
Schön, was unser Digital-Archäologe da wieder ausgegraben hat. Nächstes Mal aber bitte ein Unboxing Video auf Youtube ! :D:D:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Echt klasse! Jetzt habe ich irgendwie lust "Back to the Future" zu schauen :D

Und der letzte Bild ist wirklich der Hammer! Vor dem lesen hatte ich angefangen nur die Bilder zu schauen, und beim letzten habe ich mich leicht erschrocken! :eek:
 
Was für ein Prügel :D Glückwunsch! (Auch zu der schönen Katze :D)
 
Musst Du da eigentlich vor dem Einschalten beim Kraftwerk anrufen damit die dann nen Extra-Brennstab reinschieben? :D
 
Beim Anblick dieses Kippschalters kann ich das satte "schlack-schlack" beim umlegen schon fast hören...
 
Oh je, jetzt sammelt Morns sogar schon YTON Steine, die von IBM zu PCs umgebaut wurden. :eek:

Aber wunderschöne Katze, wirklich. :)
 
Ich hatte diesen Schlepptop 1990 für ein Jahr im Aussendiensteinsatz gehabt und muss sagen, das war schlicht eine Folter und wir haben die Einkäufer verflucht die dieses Gerät angeschafft hatten. Vorher wurden Berechnungen mit einem HP 41 getätigt.

Das Netzkabel ist so kurz gewesen das man zum Gewicht auch noch Probleme mit der Stromversorgung hatte und darauf bedacht war nicht zu stolpern und im Ausseneinsatz irgendwelche Wände einzureißen.

Nach nur einem Jahr wurden alle Geräte dann gegen Toshiba Laptops ausgetauscht. Ich hoffe noch rückblickend das der Einkäufer entlassen wurde, der uns diese Qualen zugemutet hat.
 
Das originale Netzkabel war bei diesem zum Glück nicht dabei. Dafür habe ich in den Tiefen meines Kellers ein 2,5m langes Netzkabel gefunden, das für etwas mehr Bewegungsfreiheit sorgt.

@HPL:
Ende der 80er Jahre hatten ja mehrere Anbieter derartige Portable "Sewing-machines" im Angebot, aber ich glaube, das keiner so schwer und so groß, wie der von IBM war. - Ich erinnere mich noch daran, wie die "DOS" und "Chip" eine Zeit lang in fast jeder Ausgabe ein neues Modell vorgestellt hatten.

Teilweise wurden diese Portables sogar recht lange genutzt. Besonders die Möglichkeit zum Einbau von Erweiterungskarten hielt so manchen Rechner sehr lange am Leben:
Die Sporthochschule in Köln und z.B. der Olympiastützpunkt in Frankfurt/Main nutzten die Portables fast bis Mitte der 1990er Jahre für ihre wissenschaftlichen Analysen, wenn es z.B. darum ging, einen Videorekorder via PC zu steuern, um Videoanalysen von Spiel- oder Bewegungsabläufen durzuführen.
Da die SONY U-Matic (Profi-)Videorekorder zu groß, teuer und unhandlich waren, griff man hier oft auf Panasonic Consumer-Modelle zurück, die eine Platine zur Steuerung via PC nachgerüstet waren und eine passende Interface-ISA-Karte wurde im Portable-PC eingebaut (Steuerung via RS232 kam erst später auf, als aber digitales Video schon auf dem Vormarsch war). - Einen von diesen umgebauten Panasonic Consumer-Modellen habe ich sogar noch im Keller stehen.

Auch wogen die Panasonic Consumer Videorekorder nur ein Drittel dessen, was der Profi-Videorekorder von Sony an Gewicht auf die Waage brachte. - Preisunterschiede von DM 2250.- zu DM 19800.- sprachen ebenfalls für den Heim-Videorekorder.

Später stieg man auf Panasonic Profi-Videoreorder um, die mit RS232-Schnittstelle ausgestattet waren und "nur" DM 7500.- kosteten, was den oben genannten Einrichtungen eher in den Etat passte, als die Kosten für das Sony-Modell.

Warum ein Portable-PC und kein Desktop?
Sowohl die Sporthochschule als auch die Wissenschaftler der Olympia-Stützpunkte waren viel auf Reisen und führten daher die Video-Ausstattung nebst Portable-PC im Gepäck auch auf Flugreisen (z.B. internationale Wettkämpfe etc.) mit sich. Da bedeutete ein Prtable-PC gegenüber dem damals üblichen 80286 Desktop-PC nebst Monitor und Tastatur eine enorme Gewichtseinsparung. - Aber einen IBM-Portable hatte damals kaum einer - meist waren es Compaq Portable.


Als ich gestern Abend am P70 saß, war ich wirklich versucht gewesen, mein altes Turbo Pascal 4.0 für DOS und Turbo Pascal für Windows 1.0 auszugraben und zu installieren. - Vielleicht mache ich mal die Tage :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Der P70 wurde auch lange Zeit als Netzwerk-Meßgerät verwendet. Zu der Zeit gab es spezielle MCA-Karten für Tokenring und Ethernet, die deutlich mehr Möglichkeiten zur Netzwerkanalyse als andere Lösungen boten.
 
Als ich gestern Abend am P70 saß, war ich wirklich versucht gewesen, mein altes Turbo Pascal 4.0 für DOS und Turbo Pascal für Windows 1.0 auszugraben und zu installieren. - Vielleicht mache ich mal die Tage :D

Oh ja bitte :D
Damit hatte ich auch schon meinen Spaß, die Gesamtschule die ich zwischenzeitlich besucht habe nutzt das heute noch um die grundlegendsten Befehle zu vermitteln.
Wenn man ohne besondere GUI zurecht kommt hat man es später auch viel einfacher wenn man z.B. mit Lazarus arbeitet...
 
Wenn man ohne besondere GUI zurecht kommt hat man es später auch viel einfacher wenn man z.B. mit Lazarus arbeitet...
Da war Turbo Pascal 3 noch besser. - Außer einem Wordstar-kompatiblen Editor besaß es keine optischen Features - schon gar nicht "klicki-bunti" :D
 
Mir gefällt am meisten das Katzenbild und der dazugehörige Ausdruck der störenden "Kleinigkeiten".
:)
 
Ein schoenes technisches Sammlerstueck.
Schoen, das das gute Stueck auch funktioniert.
Die Mietz ist ja mega-huebsch ;-)
 
Genau, eigentlich wollen wir mehr Katzenbilder :thumbsup:

Zeit für ein eigenes Museum oder? Da passt so eine Katze auch prima rein...

Viele Grüße
Matt
 
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