Rezension: ThinkPad - A Different Shade of Blue

Herrentorte

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28 Aug. 2009
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617
Hallo Gemeinde!
Auf Puntos Anregung steuere ich heute mal die Rezension eines Buches bei, welches ich unlängst geschenkt bekam. Die Verpackung war bereits Thema diverser Diskussionen . :D

Also, es geht um flogenden Titel:
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Dell, Deborah A./Purdy, J. Gerry: ThinkPad. A Different Shade of Blue, Indianapolis: 2000.

(first publised 1999)

Wie der Erscheinungszeitraum schon andeutet, erschien der Band lange vor der Übernahme von ThinkPad durch Lenovo - damals waren gerade die ThinkPads 600 und 770 state of the art! :thumbup:
Entsprechend liest sich schon der Klappentext "historisch", denn die großen Erfolge echter IBM-ThinkPads sollten ja erst noch kommen:
Ende der 80er Jahre galt IBM Branchenkennern in den USA als Gespött auf dem Markt für portable Computer; das Ende von "Big Blue" schien absehbar. Die Philosophie des früheren IBM-Vorstandsvorsitzenden Thomas J. Watson "all
problems of the world could be solved easily if men were only willing to think" wurde aber unter Jim Cannavino eindrucksvoll in die Tat umgesetzt, entsprechend prägte IBM die Computerwelt Anfang der 90er Jahre mit bahnbrechnden Technologien.

Der Band schildert die Geschichte von der Formung einer der erfolgreichsten Marken der Geschichte. Interviews mit ThinkPad-Teammitarbeitern, IBM-Managern und Entscheidungsträgern der Branche gewähren einen intimen Einblick in die Arbeit des IBM-Teams.
Der letzte Absatz umreißt das Thema des Buches umfassend. Wie alle Zitate ist auch dieses eine eigene Übersetzung.


Der Band ist mit glatt 500 Seiten recht umfangreich und komfortabel ausgestattet. Er gliedert sich in insgesamt in 4 Teile, abgerundet werden die derart gegliederten 30 Kapitel durch eine ThinkPad-Zeitleiste und eine Stichwort- und Personenregister.

Bereits im Vorwort (von Thomas J. Kosnik) merkt man, dass die ThinkPad-Family in der Zeit um 1999 anders drauf war als heute: Die Produkte wurden langfristiger entwickelt, waren Meilensteine der Technikgeschichte und kosteten, wie wir wissen, irre viel Holz.

Den "prägenden Moment" für die Energie, mit der die Idee ThinkPad vorangetrieben wurde, verorten die Autoren in den frühen 90ern - in einer Phase des Niedergangs, der Entlassungen und des Downsizings.
Schon in den ersten Seiten deutet sich der Stil des Buches an, als sich ein Mitarbeiter an einen nächtlichen Werksrundgang in dieser Zeit erinnert. Athmosphärisch wird die deprimierte, verzagte Stimmung des Niedergangs skizziert:
Als ich vom Kaffeeautomaten kommend den Flur entlangging, konnte ich es nicht fassen, wie verlassen und desolat die Büros aussahen: man sah immer weniger persönliche Dinge, mit denen Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze ausstatteten, da niemand wusste, ob er als nächstes entlassen werden würde. [...] Tief in Gedanken versunken wurde ich von meinem eigenen Schatten auf der Betonwand erschreckt. (S. 3f.)
In einer solcher Nächte jedenfalls entstand der Plan, einen Tablet-PC mit dem Namen ThinkPad zu entwickeln - wie wir alle wissen, nach dem Notizbuch für IBM-Mitarbeiter mit der Prägung Think auf dem Einband.

Zunächst zeichnet der Band kurz die Geschichte des IBM-PCs nach und betont, dass dass dieser nicht das Produkt "göttlicher Eingebung", sondern konsequenter Entwicklung und durchdachten Marketings gewesen sei.

Damit wäre ein weiteres Charakteristukum des Buches benannt: die Synthese aus persönlichen Erinnerungen von Mitstreitern, Technik-und Modellgeschichte und der Präsentation betriebswirtschaftlicher Erwägungen. Aufgelockert wird die Darstellung durch mehr oder weniger witzige Cliparts, Cartoons und, besonders schön, historische Modelle, etwa des IBM Portable PC,
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in natürlicher Umgebung!

Ausgiebig gewährt der Band einen Einblick in die Zeit um 1989, als noch Compaq der Platzhirsch auf dem Markt für "portable" Computer war, aber sich durch die Erfindung von LCD-Bildschirmen ganz neue Möglichkeiten auftaten. 1991 präsentierte IBM dann mit dem L40SX seinen ersten Laptop. Schon bei diesem Modell war wohl, wie geschildert wird, die Tastatur außergeöhnlich gut! :thumbsup:
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Besonders dieses Kapitel ist durch die Nähkästchen-Plaudereien eine spannende Lektüre:
Der L40SX diente noch um die Jahrtausendwende als Prüfstand und Arbeitstier in der TP-Entwicklung. An ihm wurden die ersten Trackpoint-Prototypen getestet. Ausgeliefert wurde er noch im, für die damalige Zeit typischen, hellgrauen Gewand, auch wenn man über ein schwarzes Gehäuse nachdachte. Aber, so erinnert sich Entwickler Suarez: Das IBM-Management fand schwarz, Zitat, "einfach zu wild" für den PC-Markt. :)
Dennoch: der geniale Designer Richard Sapper hatte 1990 schon schwarz als Farbe für die neuen IBMs im Blick und der Rest ist Geschichte.

Im März 1992 erschien dann das erste schwarze IBM-Notebook: das N51SX.
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Jenseits der Modellgeschiche wird immer wieder beschrieben, wie es auch nötig war, die neuen IBM-Modelle auf dem Markt zu platzieren.

Sehr schön zu lesen ist die Erinnerung an einen Studiobesuch bei R. Sapper, als er die IBM-Verantwortlichen vom Bento-Design der künftigen Modelle überzeugt:
Es war eine einfache, hervorragend verarbeitete Box, deren Inhalt man nicht erahnte, bevor man sie öffnete. Sapper meinte, das die neue Modellgeneration keine Signalreize haben sollte; die einzige Unterbrechung der Form stellte das mehrfarbige, im Winkel angebrachte IBM-Logo dar.(S. 173)
Im letzten Abschnitt, der schon dicht an der "Gegenwart" (also 1999) ist, wird es regelrecht hymnisch, als David Hill zitiert wird:
"Ich fand das ThinkPad-Design besonders, weil es dramatisch war. Es war sehr einfach und zeitlos. Nehmen Sie die Pyramien in Ägypten, diese sind unglaublich einfach, aber wirken doch zeitlos mächtig. [...] Das ThinkPad-Design ist evolutionär, nicht revolutionär. Man denke an einen Porsche 911: Schaut man auf ein aktuelles und ein 15 Jahre altes Modell, sieht man klar die Unterschiede, aber man weiß einfach, dass es ein Porsche 911 ist." (S. 412f.)
Mit der 1998 präsentierten i-Reihe, mit der erstmals ein TFT-color-Portable für weniger als 15.000 $ (!!) :blink: zu haben war, klingt die Darstellung aus.

Als Trend der kommenden Jahre werden Ultra-Portables ausgemacht, die X-Reihe steht mit dem ThinkPad 570, welches dem X20 schon sehr ähnlich sieht, in den Startlöchern. Vom 570 wird eine hübsche ganzzeitige Zeiungswerbung abgebildet.


Fazit:
Für Fans der Marke ThinkPad ist dieses Buch praktisch eine "Theodor-Mommsen"-Arbeit: wuchtig, umfassend, über weite Streckend fesselnd geschrieben.
Die immense Detailkenntnis der Autoren, die dem Konzern verbunden sind, schießt aber zuweilen ein bisschen ins Kraut. Die Firmenhistorie kommt streckenweise arg detailverliebt daher, und die zäh dahinfließende Zeit in manchen Meetings muss ein weiteres Mal durchgestanden werden.

Doch der Band hat viele Stärken: Er vermittelt lebendig und gut lesbar geschrieben viele Einblicke in die Abläufe und Entwicklung eines riesigen Technologiekonzerns. Für mich, der von Technik und BWL gleichermaßen keine Ahnung hat, ist das eine lehrreiche Lektüre: wieviele Entscheidungsfelder von Entwicklung, Marktanalyse, Design, Werbung, noch mehr Entwicklung ineinandergreifen!

Besonders, wenn man das Buch mit dem Wissen der tatsächlichen Entwicklungen der letzten 10 Jahre liest, lohnt es sich: als interessantes Zeugnis für Wirtschaftsjournalismus und Hintergrundwissen für Wirtschaft und Technik - zwei Triebkräfte, die unser Leben in der Postmoderne wesentlich prägen.

Danke fürs Lesen, hoffe, es war ein bisschen interessant! :)
 
Punto hatte vollkommen recht --> find ich super --> interessiert mich --> BESTELLT :D


Danke
Audrey
 
Hab's gerne und mit Freude gelesen. Danke für die Mühen der Rezension!
 
Danke Dir für die schöne Rezension - solche Beiträge sind eine Bereicherung für unser Forum!
Gruß
Andy
 
Hey, danke für die Rezension :) . Da dieses

Herrentorte' schrieb:
Für mich, der von Technik und BWL gleichermaßen keine wenig Ahnung hat, ist das eine lehrreiche Lektüre:
für mich ähnlich zutreffend ist, aber das Interesse ebenfalls gross....habe ich es mir soeben auch bestellt :thumbsup: . Danke für die Anregung.
 
andy' schrieb:
Danke Dir für die schöne Rezension - solche Beiträge sind eine Bereicherung für unser Forum!
Gruß
Andy
Danke für die Blumen! :)
Tja, so ist das: da ich hier mehr als einmal technische Hilfe bekommen habe, versuche ich, auf solchem Wege was für die Community beizusteuern. Spaß macht es allemal!! :)
 
hi,
Mahalo für den gut zu lesenden beitrag.
wie schaft man es so einen gut geschriebenen text zu verfassen, mich wunder nimmt.

hintergrund ich währe bei so etwas studen beschäfftigt, befürchte eher mein text würde länger, mit wesentlich weniger inhalt.
bist du etwa journalist oder schrifsteller ?

greeTz, lyvi
 
lyvi' schrieb:
bist du etwa journalist oder schrifsteller ?
Hehe, vielleicht wirds ja mal... ;) Bin grad Doktorand (gaaanz anderes Themengebiet) und hab meine Arbeit letzte Woche eingereicht. Mit Projekten wie der Rezension versuch ich jetzt zu verhindern, in ein geistiges Loch zu fallen. :)
 
schöne buchbesprechung 1a!! :thumbsup:

weiß mich auch eher in der ecke "technik und bwl-fern", aber durch diese besprechung werde ich erst einmal schauen, ob es das buch bei uns in der bibliothek zu finden ist und sonst werde ich es mir zulegen.

gruß in't huus

gatasa
 
Vielen vielen Dank für diese tolle Rezension - das Buch muss ich auch haben :)

Mal in der Bucht suchen gehen...

EDIT:
Hätt ich mal besser nix gesagt :facepalm:
Gerade mal ein Exemplar in den USA finde ich noch - mal Amazon checken.
 
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